Wie alles begann

Von der Vergangenheit zur Gegenwart: Eine gute Geschichte wird immer von Menschen begleitet, die sich ein Ziel gesetzt haben und die Entschlossenheit zeigten dieses auch zu erreichen. Natürlich ist ein solcher Weg stets mit Widrigkeiten verbunden. Doch all diesen Schwierigkeiten stellten sich meine Eltern entgegen. Was bis heute daraus wurde kann ich nur bewundern.

Die Teilung Deutschlands wie ich sie nicht mehr miterleben musste, war Alltag in der Jugend meiner Eltern – Autokauf in der Warteschlange, eigene Wohnung nur als Ehepaar, Berufswahl stark eingeschränkt, ständige Warenknappheit und der Begriff von Volkseigentum waren nur einige Einflussfaktoren, die damals die Gesellschaft prägten.

Auch Marion und Peter waren Bürger der DDR und fester Bestandteil der Arbeiterklasse. Marion die gelernte Friseurin, oder Friseuse wie es damals hieß, und Peter der Maurer entsprachen diesem Bild.

Marion und Peter Schondelmaier kurz nach der Eröffnung der Pension 1993
Wie kam es zur Gastronomie?

Denn die Gastronomie versprach nur ein ähnliches Einkommen wie ein Maurer. Doch durch das Trinkgeld kann man ein weit einträglicheres Einkommen erzielen. Das wusste mein Vater von seiner Mutter, Helga Dahms und wollte ihr da in nichts mehr nachstehen.

Helga Dahms war und bleibt eine der bekanntesten Gastronomiegrößen von Oschersleben. Sie hatte wahrscheinlich jeden älteren Oscherslebener mindestens schon einmal bedient. Mehrfach ausgezeichnet, unter anderen mit der „Aktivist des Siebenjahrplans“-Auszeichnung, hatte Sie als Ausbilderin Lehrlinge geprägt und besaß die Genehmigung einer Gaststättenleiterin. Noch heute erzählen mir die Leute, wie lange sie meine Oma kannten und wie sie stets ihre Gastfreundlichkeit und Aufmerksamkeit schätzten. Sie war trotz körperlicher Einschränkungen bis ins hohe Alter im Frühstücksdienst unseres Gasthofes ein fester Bestandteil unseres Teams. 2023 verstarb Helga Dahms.

Auch meine Mutter kam aus einer Gastronomiefamilie, sodass meine Eltern beschlossen sich gemeinsam in der Gastronomie zu versuchen. Dabei konnten sie mit der Unterstützung meiner Oma Helga rechnen. Auch unter ihren Fittichen erlernten Peter und Marion die Fertigkeiten der Gastronomie. „Stadtmitte“, „Waldschänke“ und das „Storchennest“ sind die Gaststätten Ihrer Anfänge und wurden in Erzählungen aus der Vergangenheit oft erwähnt. Auch mein Vater erwarb die Erlaubnis zur Leitung einer Gaststätte. Damit befanden sich die Waldschänke und später das Storchennest unter seiner Führung. Das war dann auch die Zeit in der meine Schwester und ich das Licht der Welt erblickten.

Die letzten Jahre vor der Wende

Nun waren die letzten Jahre der DDR angebrochen und keiner konnte ahnen, was alles noch geschehen sollte. Familie Schondelmaier beschloss den Kauf eines Hauses mit entsprechendem Grundstück in der Schermcker Str. 20 in Oschersleben. Der unbemerkte Hausschwamm wurde miterworben und veranlasste uns kurze Zeit später zum Abriss des Gebäudes. Mein Vater zog die Maurerkluft wieder an und begann unser Haus wieder aufzubauen. Denn trotz des Berufswechsels meines Vaters, waren seine handwerklichen Fähigkeiten nicht verschwunden. Im Gegenteil, die Mentalität alles selbst zu machen, vor allem was es nicht gab, war Charakteristikum vieler Ostbürger.

Herr und Frau Klenke, unsere Nachbarn, wohnten im großen roten Ziegelsteinhaus direkt nebenan. Ich weiß noch genau, wie meine Schwester und ich auf ihrem Hof die neugeborenen Kätzchen streicheln durften. Sie besaßen einen großen, etwas verwaisten Hof mit Stallungen, Hundezwingern und mehreren Schuppen. Hunde gab es keine mehr. Welche zu versorgen, war ihnen aufgrund des Alters unmöglich geworden. Früher war das Ziegelsteinhaus schon einmal ein Gasthaus, wie es ein verblasster Schriftzug an der Straßenseite verriet. Er bot meinen Eltern an, den unteren Teil des Hauses an sie zu pachten, um dort erneut eine Gastwirtschaft zu betreiben. Dazu musste lediglich ein Küchentrakt angebaut und die Räumlichkeiten hergerichtet werden. Zudem erwarben meine Eltern die Scheune, die sich im hinteren Teil des Grundstücks befand und ebenfalls an unseres angrenzte.

Überrascht vom Fall des Eisernen Vorhangs und durch die Wirren der Wende waren beide Seiten nicht mehr daran interessiert, die Räumlichkeiten der Klenkes als Gastwirtschaft zu nutzen. Es zog den jungen Familienvater in den Westen, nach Helmstedt, um dort an Raststätten zügig Geld der neuen Währung zu verdienen. Wir Kinder waren gut in einer Kinderkrippe untergebracht worden, sodass auch Marion noch etwas Geld in ihrem Friseur-Beruf hinzuverdienen konnte.

Es war eine magische Zeit. Aufbruchstimmung wo man hinsah – jeder wollte sich selbstständig machen, jeder hatte viele Ideen. Wie würde es damit wohl weitergehen?

Dem Haus fehlte noch die Fassade und die Größe des Grundstücks regte auch die Fantasie meiner Eltern an. Was sie wohl daraus machen könnten? Sie begannen, am Wohnhaus einen Anbau zu errichten in dem Büroräume entstehen konnten und die man auf dem nun oft genannten „Markt“ hätte anbieten können. Doch nach längeren Überlegungen und total im Bauwahn verfestigte sich schlussendlich wieder eine gastronomische Idee, einer Pension mit angeschlossenem Gaststättenbetrieb wollten sie eröffnen. Als auch die Bank dem Vorhaben zustimmte, konnte das Bauvorhaben weiter vorangetrieben werden.

Die Eröffnung

Am 06. Mai 1993 eröffnete dann unsere kleine Pension. Meine Eltern empfingen den ersten Gast und es lief recht gut. Wir verfügten gerade mal über 5 Doppelzimmer und einem Einzelzimmer. Schnell wurde ihnen bewusst, wie groß die Nachfrage nach Übernachtungsmöglichkeiten in Oschersleben war. Mama Marion zog sich nun vollständig aus ihrem Beruf zurück und widmete sich neben der Erziehung meine Schwester und mir, auch der Pflege der Pensionszimmer. Mein Vater hingegen baute die Scheune weiter zur Gaststätte aus und drei weitere Zimmer über den Gasträumen sollten auch noch entstehen. Es musste alles zügig fertig werden, damit der Kredit wieder abbezahlt werden konnte.

Nach weiteren eineinhalb Jahren, pünktlich zum 31. Dezember 1994, eröffnete die Gaststätte und die erste Veranstaltung konnte stattfinden. Eine etwa 50-köpfige Silvestergesellschaft weihte unsere beiden Gasträume mit allem, was dazu gehörte, ein. An dieser Stelle richte ich den Familien … einen besonders schönen Gruß von meinen Eltern aus. Sie haben seit Silvester 1994/95 bis vor wenigen Jahren alle Jahresendfeste miterlebt und sich inzwischen aus Altersgründen zurückgezogen. Die Stühle wurden schnell nachbesetzt, denn die sind bis heute begehrt und erleben nur selten einen Wechsel.

Ein echtes Wirtschaftsunternehmen darf weiter wachsen

Nun waren beide Elternteile voll beschäftigt im eigenen Betrieb, Marion blieb Schirmherrin der Zimmereinigung. Die Qualität, auf die wir Wert legen, brachte uns Dank Marion unzählige Komplimente ein. Generell ist uns die Erhaltung der Zimmer – sozusagen im Neuzustand – sehr wichtig. Im Branchenvergleich ist die Zeit für die Reinigung eines Doppelzimmers bei uns überdurchschnittlich lang und etwa bei 45 min angesetzt. Das bedeutet nicht, dass es bei uns einfacher ist. Es bleibt ein Knochenjob für diese Mitarbeiterinnen. Peter hingegen kellnerte fortan im eigenen Lokal, nicht als Gaststättenleiter wie zu DDR-Zeiten. Nein, im eigenhändig gebauten, zwar von der Bank finanzierten, aber im neuen marktwirtschaftlichen Sinne als ganz eigenverantwortlicher Einzelunternehmer. Das war ein völlig neues Gefühl. Auch Oma Helga und unser erster Koch Bodo waren die Gesichter der ersten Stunde der Gaststätte.

Mit der Zeit wurden dann weitere Mitarbeiter benötigt und, sodass ein weiterer Koch, zwei Kellnerinnen, eine Reinigungskraft eingesetzt wurden. Es herrschten Jahre der Betriebsamkeit und auch meine Schwester und ich konnten die eine oder andere zusätzliche DM zum Taschengeld hinzuverdienen, wenn wir bei der Zimmerreinigung mithalfen.